Schule für CranioSacral Healing

ganzheitliches Lernen seit 1994

Über den Beginn von Behandlungen (aus Newsletter 4/2022)

Dr. Rollin Becker hat einmal gesagt, dass wir mit dem Beginn der Behandlung warten sollen, bis wir spüren, dass der Wille des Patienten dem Willen der primären Atmung nachgibt.

Das ist ein starkes Statement mit enormer Tragweite. Wie kann es verstanden werden?

Die erste … weiterlesen … Frage, die diese Aussage aufwirft, ist: Was meint Dr. Becker hier mit dem Beginn der Behandlung?

Normalerweise würde ich sagen, dass die Behandlung schon dann beginnt, wenn der/die Patient/in oder Klient/in in unseren Praxisraum hineinkommt – also ein ganzes Weilchen, bevor wir überhaupt mit der Berührung beginnen. Und wenn wir ganz genau hinschauen, beginnt die Behandlung sogar noch früher – nämlich bereits zum Zeitpunkt der Terminvereinbarung. Oft erzählen nämlich Klienten, dass sich von diesem Zeitpunkt an schon vor der Behandlung etwas bewegt oder verändert hat.

Was Dr. Becker jedoch hier mit dem Beginn einer Behandlung meint, ist das Eingehen mit unseren Händen auf spezifische Themen oder Probleme – ob das nun durch eingestimmte rezeptive oder eher aktive Vorgehensweisen geschieht.

Odenwald Anfang September 22

Und was meint Dr. Becker damit, dass der „Wille des Patienten dem Willen der primären Atmung nachgibt“? Was ist mit dem Willen des Patienten gemeint? Geht es etwa darum, dass unsere Patienten willenlose Geschöpfe werden sollen? Nein, natürlich nicht. Damit ist all das gemeint, was aus ihrem Ego, aus ihrer Identifikation mit einem vom Ganzen getrennten Ich kommt – also all das innere Rennen und Kämpfen, mit denen sie oft in unsere Praxis kommen, all das Hadern, Vermeiden, Sich-Sorgen-machen, Rechtbehalten-Wollen, Festhalten oder wie auch immer es individuell ausgeprägt ist. An all dem ist grundsätzlich nichts schlecht oder falsch; es ist alles verständlich und zutiefst menschlich. Aber es gehört zur Ebene des Bedingten und das ist nicht die Ebene, von der aus Heilung geschieht.

Der Wille der Primären Respiration bzw. der Wille des Atem des Lebens hingegen gehört zur Ebene des Nicht-Bedingten, des Absoluten, des Universellen oder Göttlichen. Und das ist die Ebene, von der aus Heilung geschieht.

Die wenigsten unserer Patient/innen würden ihre Erfahrung während Craniosacral-Behandlungen jedoch so beschreiben, dass sie sich dabei dem Willen des Atem des Lebens überantworten. Die meisten erleben es einfach als ein Loslassen, als ein Entspannen in einen Raum, den sie als geborgen, sicher und heilsam erfahren. Dass dieser Raum so heilsam ist, hat natürlich damit zu tun, dass dann der Atem des Lebens die Führung übernimmt.

Dieses Loslassen und sich dem Willen der primären Respiration Anvertrauen geht während der ganzen Behandlung weiter und wird idealerweise immer tiefer.

kleines Felsenmeer

Was ist unser Anteil an diesem Geschehen? Wie können wir ermöglichen, dass der „Wille des Patienten“ tatsächlich „dem Willen der primären Atmung nachgibt“?

Äußerlich durch eine anfängliche einfache stille Berührung, die zum Loslassen einlädt – meistens am besten in der Peripherie des Körpers. Ob diese mit einem Stillpoint des craniosacralen oder primär respiratorischen Rhythmus einhergeht oder nicht, ist dabei von sekundärer Bedeutung.

Entscheidend ist dabei unser Eingestimmt-Sein auf den Atem des Lebens, der ja der primären Atmung zugrunde liegt. Und wie gelingt uns dieses Eingestimmt-Sein auf den Atem des Lebens? Dazu gibt es einige Aspekte und Möglichkeiten:

- Ein einigermaßen stiller Geist und ein relativ weites Wahrnehmungsfeld sind die ersten Voraussetzungen dafür.

- Hilfreich ist in jedem Fall, mit dem Atem des Lebens in uns selbst verbunden zu sein, zum Beispiel über unsere eigene Mittellinie.

- Ganz wichtig ist, dass wir nicht von unserem eigenen Willen getrieben sind, sondern in einer rezeptiven und wartenden Geisteshaltung geduldig lauschen. Es kann einige Minuten dauern, bis tatsächlich der Wille des Patienten beginnt loszulassen und dem Willen der primären Atmung nachzugeben.

- Eine einfache Art und Weise, uns auf den Atem des Lebens in unseren Patient/innen einzustimmen, besteht darin, mit einem weiten Wahrnehmungsfeld seinem/ihrem primär respiratorischen Rhythmus zu lauschen und uns dabei mit der Kraft zu verbinden, die hinter dieser Bewegung steckt und sie bewirkt.

- Andere Möglichkeiten bestehen darin, uns auf die Mittellinie in ihm oder ihr auszurichten oder uns mit offenem Herzen und mit Weite auf seinen/ihren Wesenskern zu besinnen – auf das, was er oder sie in ihrem Innersten jenseits aller Verletzungen, Muster und Konditionierungen wirklich ist. So gewinnen wir Zugang zur universellen Ebene, von der auch der Atem des Lebens kommt.

herbstlicher Obstbaum

Mit zunehmender Erfahrung wird es für uns immer leichter und natürlicher, den Kontakt mit dem Atem des Lebens in unseren Patient/innen zu gewinnen und die Verbindung wird immer deutlicher und tiefgründiger. Außer unserer direkten Erfahrung als Therapeut/innen ist dafür auch unsere Lebensführung außerhalb unserer therapeutischen Arbeit wichtig. Damit meine ich besonders eine wie auch immer individuell gestaltete spirituelle Ausrichtung und Praxis (Meditationen, Gebete etc.).

Durch all das bieten wir ein Feld, das ermöglicht, dass unsere Klient/innen schneller loslassen und in dem Maß, wie dies geschieht, der Atem des Lebens in ihnen die Führung übernimmt.

Manchmal ist es trotz allem anfangs nicht oder nur sehr wenig möglich, dass der betreffende Patient loslässt und sich dem Willen des Atem des Lebens anvertraut. Dann müssen wir durch unsere Arbeit mit den Händen oder auch durch verbale Begleitung zuerst Ressourcen aufbauen, was es dem betreffenden Klienten schließlich ermöglichen wird, mehr loszulassen. Oder wir arbeiten zunächst aktiver und struktureller – in der Hoffnung, dass sich durch die Arbeit an den Strukturen Spannungen lösen und dann dadurch ein tieferer Zugang möglich wird. Aber das sollte die Ausnahme bleiben.

einsames Haus

Wie spüren wir, dass tatsächlich der Wille des Patienten beginnt, dem Willen der primären Atmung nachzugeben?

Die äußeren Anzeichen sind leicht zu beschreiben und sind nichts Neues: Es kommt z.B. zu einem Weicherwerden und Tiefersinken des Gewebes und/oder es geschehen unwillkürliche tiefe Atemzüge, therapeutische Pulse, ausgleichende Bewegungen, es stellen sich Gleichgewichtszustände ein etc. .

Die inneren Anzeichen sind schwieriger in Worte zu fassen: Wir gewinnen einen gefühlten tieferen Zugang; es entsteht Synchronizität zwischen dem inneren Heiler in uns und dem inneren Heiler in unseren Klient/innen; es eröffnet sich ein stiller Raum, der sich irgendwie lichtvoll und gesegnet anfühlt.

Zuletzt bleibt noch die wichtigste Frage: Warum sollen wir überhaupt warten, bis wir spüren, dass der Wille des Patienten beginnt, dem Willen der primären Atmung nachzugeben? Für was ist das gut?

Ganz einfach, weil dann unsere Behandlungen viel einfacher, müheloser, tiefgehender und effizienter sind. Es ist dann viel mehr Heilung und Integration möglich. Der innere Behandlungsplan (siehe hier) kann sich nun umso deutlicher und klarer zeigen und entfalten.

Beginnen wir dagegen zu früh, auf spezifische Themen oder Probleme einzugehen, begegnen uns in deutlich höherem Maß innere Widerstände und unser Vorgehen ist dann mühsamer und weniger erfolgversprechend. Sowohl unsere Klient/innen als auch wir selbst erfahren dabei weniger Segen und Gnade.

September Licht und Schatten