Blogartikel über die reinigende Kraft des Liquors
(aus Newsletter 3/2021)
Heute möchte über zwei Erforschungen sprechen, die beide die reinigende Wirkung der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit belegen und die beide auf Verbindungen des Liquors mit dem Lymphsystem hinweisen.
Bereits vor etwa 10 Jahren entdeckte Maiken Nedergaard von der University of Rochester (NY), dass sich während des Schlafs die interstitiellen Räume des Gehirns weiten. Ihr Anteil am Gesamtvolumen des Gehirns steigt dabei um mehr als die Hälfte von 14 auf 23 Prozent an. Dann durchströmt der Liquor cerebrospinalis, wenn auch sehr langsam, das Gehirngewebe. Dabei werden auch tiefere Bereiche des Gehirns erreicht. Durch diese Liquorspülung wird das Gehirn von toxischen Stoffwechselprodukten und Schadstoffen gereinigt wie zum Beispiel von Beta-Amyloiden, deren Akkumulation das zentrale Kennzeichen von Morbus Alzheimer ist.
Eintrittspforte sind die paravaskulären Räume um die Arterien herum, die durch den Subarachnoidal-raum hindurch verlaufen und in das Gehirn eintreten. Den durchgeführten Experimenten zufolge sind dafür winzige Wasserkanäle auf den Fortsätzen der Astrozyten entscheidend, die sogenannten Aquaporine. Da Astrozyten zur Glia gehören, spricht Nedergaard vom „glymphatischen System“. Bewusst wählte sie die sprachliche Analogie zum Lymphsystem, denn dieses System erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie die Lymphwege im übrigen Körper.
Nedergaard meint, dass die Notwendigkeit, das Gehirn von toxischen Substanzen zu befreien, ein wesentlicher Grund dafür sein könnte, warum Menschen und Tiere Schlaf benötigen. Da bei einer Ausdehnung der interstitiellen Räume die Größe der Gehirnzellen aufgrund des durch den knöchernen Schädel begrenzten Gesamtraums abnehmen muss, wird das Gehirn im Schlaf gezielt in einen Ruhezustand versetzt, damit es dann gereinigt werden kann.
Neuere Forschungen Nedergaards zeigen sogar, dass die Tätigkeit des „glymphatischen Systems“ nicht nur an den Schlaf gebunden ist, sondern zusätzlich auch an den zirkadianen Rhythmus, was die Wichtigkeit des nächtlichen Schlafes unterstreicht. Wahrscheinlich sind auch hierfür Astrozyten verantwortlich, nämlich Astrozyten im Nucleus suprachiasmaticus, die möglicherweise mit anderen Astrozyten im Gehirn zur Optimierung des „glymphatischen Systems“ kommunizieren. Der zum Hypothalamus gehörende Nucleus suprachiasmaticus steuert übrigens die Melaninproduktion in der Zirbeldrüse und dadurch den zirkadianen Rhythmus.
In weiteren Forschungen wurde aufgezeigt, dass während Wachzuständen das „glymphatische System“ den Liquor zu Lymphknoten im Hals ableitet. Da die Lymphknoten Schlüsselstationen in der Regulation des Immunsystems sind, legt diese Forschung nahe, dass der Liquor eine Art „Flüssigkeitsuhr“ darstellt, die am Tag die Abwehrkapazität des Körpers erweckt.
Blick nach oben aus der Hängematte über dem Bach hinter dem Haus Eckhart
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Blick aus unserem Praxisraum im Juni
Auch eine andere Erforschung beschäftigte sich mit der Frage, wie der gute halbe Liter Liquor, der pro Tag produziert wird, den Gehirnraum wieder verlässt.
Entgegen der bislang für allgemeingültig gehaltenen Erklärung, dass der Großteil des verbrauchten Liquors über die venösen Blutleiter und Venen abtransportiert wird, konnten die Forschenden unter der Leitung von Steven Proulx, Oberassistent in der Gruppe von Professor Detmar an der ETH Zürich, 2017 nachweisen, dass der Liquor den Gehirnraum zumindest größtenteils über die Lymphgefäße verlässt.
Dafür injizierten sie winzige fluoreszierende Farbmoleküle in die Ventrikel von Mäusen. Sie konnten dann durch bildgebende Verfahren sehen, wie der Liquor das Gehirn entlang von Nervenbahnen verlässt – vor allem entlang des Riechnervs (N. olfactorius I) und des Sehnervs (N. opticus II). War der Liquor einmal im Gewebe außerhalb des Gehirns angelangt, wurde er von den das Gewebe durchziehenden Lymphgefäßen abtransportiert. Es zeigte sich, dass sich die Farbstoffmoleküle bereits nach einigen Minuten in den Lymphgefäßen und den Lymphknoten außerhalb des Gehirns befanden. In den Blutgefäßen konnten die Forschenden jedoch keine Farbstoffmoleküle feststellen.
Dass etwas Liquor durch die Nervenbahnen des Riechnervs und durch die undichten Duralmuffen anderer Hirn- und Spinalnerven austritt, ist uns Craniosacral-Therapeut/innen bereits durch die fast 100 Jahre alten Experimente des russischen Forschers Speransky bekannt, aber dass der ganze Liquor oder zumindest ein großer Teil davon diesen Weg nimmt, ist neu. Ob beim Menschen ein kleiner Anteil des Liquors das Gehirn nicht doch wie bisher angenommen über die venösen Abflussbahnen verlässt, konnten die Wissenschaftler noch nicht gänzlich ausschließen.
Auch die Züricher Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Liquorzirkulation eine reinigende Funktion hat. „Anderswo im Körper beseitigt das Immunsystem Giftstoffe. Das Gehirn ist von diesem System jedoch weitgehend abgekoppelt“, erklärt Proulx. „Der Liquor springt hier in eine Bresche. Indem er kontinuierlich zirkuliert, spült er das Gehirn und transportiert unerwünschte Stoffe weg.“
Außerdem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass bei alten Mäusen viel weniger Liquor aus dem Gehirn fließt als bei jüngeren Mäusen - vermutlich, weil im Alter auch weniger Liquor produziert wird. Da Alzheimer und andere Demenzerkrankungen im Alter auftreten, stellte sich ihnen die Frage, ob eine Stimulierung der Liquorzirkulation das Fortschreiten von Demenzerkrankungen verlangsamen könnte.
Buddha mit Fingerhutpflanzen am Waldrand hinter unserem Wohnhaus
Beide voneinander unabhängigen Erforschungen belegen die reinigende Wirkung des Liquors. Da Craniosacral-Therapie die Liquorzirkulation fördert, bieten diese Forschungsergebnisse eine Erklärung dafür, warum craniosacrale Heilarbeit bei neurologischen Krankheitsbildern wie Morbus Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen, bei Morbus Parkinson, bei Amyotropher Lateralsklerose ALS oder Multipler Sklerose MS oftmals erstaunlich erfolgreich wirkt oder bei diesen progredienten Erkrankungen deren Fortschreiten zumindest aufzuhalten oder zu verlangsamen vermag.
Und natürlich ist unsere Arbeit auch imstande, einen großen Beitrag zur Prävention solcher Krankheiten zu leisten. Das ist immer der einfachere und weitaus effizientere Weg.
Craniosacrale Heilarbeit stärkt nicht nur die Liquorzirkulation, sondern verbessert auch den Schlaf. Somit unterstützt sie den Körper gleich auf doppelte Weise darin, das Gehirn von belastenden Stoffwechselprodukten zu reinigen, auch von denen, die unabhängig von bestimmten Erkrankungen durch Stress und traumatische Belastung entstehen.
Auch über diesen wichtigen Weg schaffen wir einen Raum, der es ermöglicht, dass sich die innere Gesundheit in höherem Maße manifestieren und in Erscheinung treten kann.
Wurzel einer großen alten Buche
Quellen:
- Maiken Nedergaards in Science 2013; 342: 373-377
- https://www.urmc.rochester.edu/news/story/circadian-rhythms-help-guide-waste-from-brain
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/56243
- Ma Quiaoli, Ineichen BV, Detmar Michael, Proulx Steven: Outflow of cerebrospinal fluid is predominantly through lymphatic vessels and is reduced in aged mice. Nature Communications, 10. November 2017, doi: 10.1038/s41467-017-01484-6
- https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2017/11/ausgang-lymphe.html